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Der Streit um die Skulpturen Hein Semkes im Ehrenhof der deutschen evangelischen Kirche in Lissabon

Von Christiane Tichy *

Auf dem Hof neben der deutschen evangelischen Kirche in Lissabon befinden sich heute drei Skulpturen des deutschen Bildhauers Hein Semke (1899-1995) zum Gedächtnis an die Gefal-lenen der deutschen Kolonie in Lissabon im Ersten Weltkrieg. Eine große Frauenfigur aus Zement "Die Trauernde" ("A dor") steht links vom Kircheneingang. Ein Halbrelief, ebenfalls aus Zement, "Himmelfahrt des Kämpfers" ("A ascensão do guerreiro") genannt, ist an der Stirnseite des Hofes angebracht, und ein in Bronze gegossenes Halbrelief mit dem Titel "Wieder gekreuzigt" ("Outra vez crucificado") lehnt an der Mauer zum Nachbargrundstück links. Die beiden ersten Plastiken einschließlich einer Gedenkplatte an der Kirchenmauer wurden 1935/36 als Ensemble eines Gefallenendenkmals aufgestellt. Die dritte Figur entstand als Gipsentwurf zwar zur gleichen Zeit, wurde aber erst 1973 in Bronze gegossen und von Hein Semke und Teresa Balté der Gemeinde geschenkt. Eine zweite Gedenkplatte neben der des Ersten Weltkrieges enthält den Text: "Wir gedenken der Toten des Zweiten Weltkrieges 1939-1945". Eine weitere Skulptur Semkes, eine überlebensgroße Dreiergruppe mit dem Titel "Kameradschaft des Untergangs" ("Camaradagem na derrota") gehörte ursprünglich 1935 mit zu dem Ensemble, ist aber heute verschwunden. Die Geschichte dieses Verlustes ist gleichzeitig die Geschichte der "Gleichschaltung" der Deutschen Evangelischen Kirche Lissabon.

Ausgangspunkt für meine Recherchen war die in der Gemeinde in Lissabon verbreitete Vorstellung, Vertreter der Partei hätten die Dreiergruppe "Kameradschaft des Untergangs" aus Rache für einen Protest des damaligen Pfarrers Paul Wilhelm Gennrich gegen antikirchliche Propaganda in einer Nacht- und Nebelaktion zerstört.1 In diesem Sinne ist eine Gedenkplakette zu verstehen, die 1995 der damalige Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, Prof. Bernardo Jerosch-Herold, hat anbringen lassen. Der Text lautet: "1935 In diesem Hof stand eine weitere Skulpturengruppe von Hein Semke. In der Zeit, als Siege mehr galten als Liebe und Trauer, wurde sie zerstört. 1995". Es war Prof. Jerosch-Herold wichtig, dass der Verlust des Kunst-werkes im Bewusstsein der Gemeinde präsent bleibt und das Unrecht nicht vergessen wird. Dabei gingen die heute Verantwortlichen davon aus, dass dem Künstler und der Kirchenge-meinde durch Zerstörung ihres Eigentums Unrecht getan worden war, also die NSDAP die Schuldige war.

Der Versuch, Belege für diese Version der Ereignisse in den Protokollen des Gemeindekirchenrates oder in anderen zeitgenössischen Dokumenten zu finden, führte zu einer Rekonstruktion, deren zentrale Punkte im folgenden zusammengestellt sind.2 Im Sommer und Herbst 1933 liefen in der deutschen Kirchengemeinde in Lissabon die Planungen für den Bau der neuen Kirche auf Hochtouren - schließlich sollte sie im Herbst 1934 fertig sein. Für den Hof neben der Kirche plante man ein "Ehrenmal" für die Gefallenen der deutschen Kolonie und hatte den jungen deutschen Bildhauer Hein Semke mit der Gestaltung beauftragt.

Semke war seit 1932 in Lissabon und hatte hier ein neues Leben als Künstler angefangen. Der deutsche Pfarrer Gennrich hatte ihn persönlich unter seinen Schutz genommen. Auch andere Honoratioren der deutschen Kolonie, wie die Kaufleute Hans Wimmer und Hermann Zum Hingste, wollten im Rahmen ihrer Tätigkeit im Gemeindekirchenrat den Landsmann fördern.
Zur gleichen Zeit, im Sommer 1933, begann die aufstrebende Landesgruppe der NSDAP-Auslandsorganisation unter ihrem Landesgruppenleiter Julius Claussen Zutritt zu den traditionellen deutschen Vereinen zu fordern. Trotz hinhaltenden Widerstands der bisherigen Vorstandsmitglieder gelang es ihr, Personen einzuschleusen. Im Vorstand des "Deutschen Vereins" und der altehrwürdigen Bartholomäus-Brüderschaft tauchten Parteiabgeordnete auf. Auch in den Gemeindekirchenrat der deutschen Kirche wurde ein Parteigenosse aufgenommen: Fritz W. Meyer als Nachfolger des verstorbenen Gemeindemitgliedes Richard Reinhard. Die Arbeiten für den Ehrenhof gingen währenddessen zügig voran. Der Bildhauer konnte in den Geschäftsräumen des Kaufmann Wimmer arbeiten. Die Plastik "Die Trauernde" wurde im Herbst 1934 auf dem Hof aufgestellt, im Frühjahr 1935 wurde das Relief "Himmelfahrt des Kämpfers" fertig und ebenfalls im Vorhof angebracht. Einige Wochen später, im Mai, war auch die letzte Skulptur, die Dreiergruppe "Kameradschaft des Untergangs", fertig. Diese blieb allerdings zunächst hinter einem Zaun verborgen, der erst mit der offiziellen Einweihung entfernt werden sollte.

Zur selben Zeit, in der ersten Jahreshälfte 1935, muss nun auch in der deutschen Kolonie Lissabons eine Parteiveranstaltung stattgefunden haben, in der ein sogenannter "Reichsredner" im Haus des Deutschen Vereins eine derartig aggressive antikirchliche Propaganda betrieb, dass Pfarrer Gennrich öffentlich dagegen protestierte. Damit hatte sich der Pfarrer bei den Parteigenossen unbeliebt gemacht, was sie nach Berlin weiterleiteten. Für den Bildhauer war der Auftrag für die Kirche eine große Chance: hier konnte er möglichen späteren Auftraggebern, vor allem Portugiesen, zeigen, was er konnte. Deshalb fand am 25. Juli 1935 eine sozusagen inoffizielle Pressekonferenz statt, woraufhin in allen großen portugiesischen Zeitungen die Figuren besprochen wurden.

Damit hatte Semke aber die diplomatischen Vorgaben verletzt. Denn der neu eingetroffene deutsche Gesandte in Lissabon, Baron von Hoyningen-Huene, lehnte diese Veröffentlichung der Werke ab, wollte er doch das Engagement seines Vorgängers Dr. Hans Freytag für den jungen Künstler nicht fortsetzen. Die Gründe dafür sind aus den vorhandenen Quellen nicht mit Sicherheit zu bestimmen.

Direkte Zielscheibe des verärgerten Gesandten wurde allerdings nicht Semke, sondern der Pfarrer als Verantwortlicher für die Ehrenhofgestaltung. Auch andere deutsche Stellen beschwerten sich offiziell beim Auswärtigen Amt in Berlin über den Pfarrer. Die Ortsgruppe der NSDAP forderte im September 1935 unverhohlen die Abberufung des Pfarrers aus Lissabon. Nun suchte man einen guten Anlass für einen öffentlichen Angriff und fand ihn in den Skulpturen Semkes. Das Erntedankfest des 6. Oktober 1935 gab die Gelegenheit. In Anwesenheit der ganzen deutschen Kolonie griff Landesgruppenleiter Julius Claussen in seiner Rede die Kirchengemeinde heftig an: sie sträube sich gegen die von der Partei gewollte "Einigung" in der deutschen Kolonie, und das Ehrenmal sei "entartete Kunst". Der Skandal war damit öffentlich.

In dieser für die Kirchengemeinde brenzligen Situation schickte der Auslandsbischof Theodor Heckel einen Diplomaten, Konsistorialrat Ernst Schubert, nach Lissabon, um wenigstens die Selbstständigkeit der Gemeinde zu bewahren und Parteivertreter und Gesandtschaft mit ihr zu versöhnen. Schubert entwarf Mitte Oktober folgenden Kompromiss, den er in einer Art Pendeldiplomatie innerhalb von zwei Tagen von allen Beteiligten - Gemeindekirchenrat, Pfarrer, Gesandtschaft und LGL Claussen - billigen ließ. Die Kirchengemeinde verzichtete auf alle Werke Semkes und sagte zu, dass vor der nächsten Wahl mit Claussen besprochen werde, welche "kirchlich interessierten" Parteimitglieder in den Gemeindekirchenrat gewählt werden sollen. Pfarrer Gennrich solle nicht sofort, aber "in nicht allzu ferner Zukunft" nach Deutschland zurückkehren. Die Partei versicherte als Gegenleistung, dass sie sich nicht mehr in kirchliche Angelegenheiten einmischen werde, sagte ausdrücklich auch zu, kirchliche Generalversammlungen nicht parteimäßig zu beeinflussen.

Mitte November 1935 begann der Abbau der bereits aufgestellten Werke aus dem Ehrenhof und war vor Weihnachten beendet. Die Angelegenheit Semke schien damit für die Kirchengemeinde erledigt - unrühmlich genug. Nicht so verständlicherweise für den Bildhauer. In der portugiesischen Öffentlichkeit nämlich gingen weiter Gerüchte gegen Semke um, die portugiesischen Auftraggeber zogen sich zurück. Deshalb machte er erneut Anstrengungen, um vielleicht einige seiner Arbeiten zu retten. Er wandte sich diesmal an den Landesgruppenleiter direkt - mit Erfolg. Der örtliche Parteichef Claussen erklärte sich nämlich um die Jahreswende 1935/36 doch wieder bereit, zwei der drei Plastiken - nämlich "Die Trauernde" und das "Relief" - wieder aufstellen zu lassen. Von Missverständnissen, sogar vom "Umfallen" ist in den Dokumenten die Rede. Der Gemeindekirchenrat jedenfalls reagierte sofort und ließ also im Frühjahr 1936 die beiden Werke Semkes im Ehrenhof wieder aufstellen.

In der deutschen Gemeinde liefen die Dinge ansonsten wie im Schubert-Kompromiss vorgesehen weiter. Pfarrer Gennrich wurde mit dem 175-Jahr Jubiläum im Juni 1936 in Ehren verabschiedet - man wahrte das Gesicht. In der Gemeindeversammlung am 20. Mai 1936 wurde als Außenstehender Pg. Werner Pankow als Rechnungsprüfer gewählt. Er trat 1941 - wie alle führenden Parteileute in den Kriegsjahren - aus der Kirche aus und wurde 1942 Nachfolger von Dr. Horst Lübbe als Landesgruppenleiter. Im übrigen blieben die acht Mitglieder des Gemeindekirchenrats von 1934 bis 1944 dieselben, wobei sechs dieser acht Personen zwischen 1936 und 1942 in die Partei eintraten. Trotz der weitgehenden Zugeständnisse im Schubert-Kompromiss hat sich also letztlich an der personellen Zusammensetzung der Führungsgremien nichts geändert.

Fazit: zwischen Mitte November und Weihnachten 1935 sind alle drei Skulpturen vom Vorhof der Kirche legal gemäß Anweisung des Gemeindekirchenrats entfernt und Anfang April zwei von ihnen wieder aufgestellt worden. Es handelte sich dabei also nicht um einen illegalen und anonymen Racheakt von Parteimitgliedern an der Kirche, sondern um jeweils vom Gemeindekirchenrat initiiertes Handeln. Unklar allerdings bleibt nach wie vor, wo die Werke in der Zwischenzeit gelagert worden sind und was aus der "Kameradschaft des Untergangs" geworden ist. Der Bildhauer Semke konnte sich trotz dieser ganzen Schwierigkeiten in den dreißiger Jahren als Künstler in Portugal allmählich durchsetzen. Zur deutschen Kolonie bestand weiterhin Kontakt, zumindest zu herausragenden Mitgliedern. So hielten die Honoratioren Hans Wimmer und Hermann Zum Hingste ihre persönliche Protektion ihm gegenüber aufrecht, so dass zum Beispiel seine Arbeit für den Ehrenhof wenigstens teilweise bezahlt wurde. Unmittelbar nach dem Krieg warnte Hein Semke wiederum Hans Wimmer als Vorstand der gefährdeten deutschen Bartholomäus-Brüderschaft vor Maßnahmen der Alliierten und bot an, als politisch Unbelasteter seinen Einfluss persönlich geltend zu machen, um die Auflösung des Vereins zu verhindern. In den 60er Jahren dann konnte er mit finanzieller Unterstützung durch die Brüderschaft rechnen.3 Auffällig ist allerdings, dass Semke nach 1936 keine Großplastiken mehr hergestellt hat, sondern sich anderen künstlerischen Techniken und Materia-lien zuwandte. Vielleicht war dies seine Schlussfolgerung aus dem "Fall Ehrenhof". Seine Werke auf dem Gelände der deutschen Kirche erhalten damit Seltenheitswert.


* Christiane Tichy hat zusammen mit Jürgen Krüger das im letzten Jahr im Michael Imhof Verlag erschienene Buch "Kirchenbau und Politik. Deutsche evangelische Kirchen auf der iberischen Halbinsel 1900-1945" veröffentlicht. Sie ist Historikerin und unterrichtet nach mehrjähriger Lehrtätigkeit im Ausland (Paris, Barcelona) seit Beginn dieses Schuljahres in Hamburg.

1 So die Aussagen von Gerhard Schickert und Prof. Bernardo Jerosch-Herold, der diese Version in dem Artikel "Die DEKL in der Zeit des Nationalsozialismus" in: Der Bote aus Lissabon Mai/Juni 1995 S. 4-6 auch schriftlich fixiert hat
2 Quellengrundlage der folgenden Rekonstruktion der Ereignisse von Juli 1933 bis Juni 1936 sind die Archivakten des Gemeindearchivs, die Akten des Auswärtigen Amtes und des Evangelischen Zentralarchivs, sowie die Aussagen von Zeitzeugen. Eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse mit detaillierten Quellenangaben befindet sich im Archiv der Deutschen Evangelischen Kirche Lissabon, 518: Ehrenhof.
3 Mitteilung vom 27.9.2004 von Gerhard Schickert, der zur Zeit das Archiv der Bartholomäus-Brüderschaft ordnet.




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Portugal-Post Nr. 28 / 2004


1934/35; Hein Semke bei der Arbeit an der Skulptur "Kameradschaft des Untergangs" im Geschäftshaus von Konsul Hans Wimmer in Lissabon




"Die Trauernde" (A Dor)




"Wieder gekreuzigt" (Outra vez crucificado); Halbrelief aus Bronze von Semke




Zeichnung von Calros Botelho aus dem Jahr 1935




"Himmelfahrt des Kriegers" (A ascensão do guerreiro)