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Prof. Dr. Jerosch Herold* spricht über den angesehenen kapverdischen Chemiker Roberto Duarte da Silva

Von Romina Carneiro

Als mich im Februar meine Freundin Maria Burguete zur Vorstellung ihres Buches Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften in der FNAC am Chiado einlud, konnte ich nicht ahnen, welch Nutzen sich für die vorliegende Portugal-Post daraus ergeben würde. Sie stellte mir ihren ehemaligen Lehrer Bernardo Jerosch Herold vor, der aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet der organischen Chemie mit Cabo Verde verbunden ist. Im November hatte er "unsere" Matinee über Wolf Bergmann im Palácio Foz organisiert (dazu der Zettelkasten der Portugal-Post 29) und nach seiner Auskunft verfolgt er die Portugal-Post mit Interesse im Internet.

Aber nicht nur das! Ich erfuhr von ihm, dass seine Töchter von Peter Koj auf der Deutschen Schule Lissabon unterrichtet worden waren. Die Buchvorstellung meiner Mariazinha war, natürlich nicht nur wegen der Bekanntschaften, die ich dabei machte, ein Segen. Ums gleich zu sagen: ein Buch wie ihres hat bisher in Portugal gefehlt! Glückwunsch! Wann kommt das nächste heraus? Nun aber zu unserem Thema: wie kommt ein deutschstämmiger Professor der organischen Chemie dazu, sich der Erforschung der Laufbahn eines ehemaligen Apothekerlehrlings von Cabo Verde zu widmen?

Weil er sich über das Fehlen einer wissenschaftlichen Tradition in Portugal für seinen Fachbereich wunderte, richtete der Professor bei seinen Forschungen ein besonderes Augenmerk auf portugiesische Namen. Eines Tages, als er den Traité de Chimie Organique, ein viel benutztes Standwerk von V. Grignard, konsultierte, stieß er im Zusammenhag mit einem Hinweis auf Glyzerin auf die Namen Friedel und Silva. Er forschte nach dem zweiten Namen und kam zu dem Schluss, dass es sich um Roberto Duarte da Silva (1837 - 1889) handelte, der von der kapverdischen Insel Santo Antão stammt und eine für seine Zeit und seine Herkunft unglaubliche Karriere gemacht hat. Denn zu jener Zeit sei es, wie Prof. Jerosch Herold annimmt, für einen Mulatten nicht einfach gewesen, die gebührende Anerkennung zu finden. Obwohl der Durchschnittsbürger wenig mit dem Namen verbinde, sei sein Träger nicht in Vergessenheit geraten, denn um 1994 habe es in Cabo Verde Gedenkfeiern zu seinen Ehren gegeben, wobei das Schulzentrum und eine Straße in seinem Geburtsort Ribeira Grande auf der Insel Santo Antão nach ihm benannt wurden. "Man vergaß" - so der Professor - "seinen 100. Todestag, erinnerte sich aber an den 105. und gedachte dessen sogar mit einem Büchlein, das 1997 auf Cabo Verde herausgegeben wurde."

Von Prof. Dr. Jerosch Herold erfuhr ich auch Interessantes über die unglaubliche Laufbahn des Apothekerlehrlings aus bescheidenen Verhältnissen, der in jungen Jahren von der fernen Insel Santo Antão nach Portugal kam, um seine Kenntnisse in der heute noch existierenden Apotheke Azevedo am Rossio zu vertiefen und mit Erfolg den Lehrgang an der Apothekerschule von Lissabon abzuschließen. 1857 wurde er in offiziellem Auftrag nach Macau geschickt, um dort eine Apotheke zu eröffnen, was jedoch misslang, da Macau damals wegen des Opiumskriegs und der Gründung Hongkongs durch die Engländer in einer Krise steckte. Grund war der Exodus der Bewohner von Macao und der in Macao lebenden Engländer nach Hongkong. Silva zog ebenfalls nach Hongkong, wo er offizieller Lieferant der französischen Truppen wurde, da es ihm als Fachmann auf seinem Gebiet gelang, Chinin zu liefern, das wegen der herrschenden Malariaseuche dringend gebraucht wurde. Aufgrund dieser Beziehungen gelangte er 1862 nach Paris, wo er die Vorlesungen der berühmten französischen Chemiker wie Wurtz, Sainte Claire Deville, Berthelot und Ballard besuchte. Nachdem er an der École Centrale des Arts et Manufactures das Physikdiplom erhalten hatte, schrieb er sich 1863 als Student bei Wurtz ein und veröffentlichte 1867 seine erste Arbeit über Amylamine.

Silva war nicht der erste Portugiese im Laboratorium von Wurtz, denn vorher war schon Agostinho Lourenço dort gewesen, der kurioserweise aus Goa kam. Das heißt beide kamen aus Portugals überseeischen Gebieten und waren keine Weißen. Aber das Labor von Wurtz war äußerst kosmopolitisch, und in einer Studie über das Labor weist Ana Carneiro nach, dass fast alle Studenten Protestanten waren. Silva war mittlerweile an der École Centrale des Arts et Manufactures zum Laborleiter ernannt, zur damaligen Zeit eine angesehene Stellung, die der Stelle des Präparators in Portugal entspricht. Er organisierte und lenkte nun die Arbeiten im Laboratorium. 1882 wurde er zum Dozenten für analytische Chemie an der neu gegründeten École Municipale de Physique et Chimie Industrielle de la Ville de Paris ernannt, da er ein Buch Traité d'Analyse Chimique geschrieben hatte, das, auch wenn es erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde, ein wichtiges Nachschlagewerk ist.

Roberto Duarte da Silva erwarb sich sowohl durch seine Forschung als auch durch seine Lehrtätigkeit an der Universität großen Ruhm. Es hat ihm sehr wahrscheinlich zum Nachteil gereicht, dass er kein Weißer war. Er arbeitete z.B. mit Friedel zusammen, der einen großen Preis der Akademie der Wissenschaften erhielt, wobei man Silva überging. Aber Friedel, der mit Silva eng befreundet war, teilte sich den Preis mit ihm. Silva erhielt später auch einen Preis, aber die Möglichkeit, in die Pariser Akademie der Wissenschaften aufgenommen zu werden, war verschwindend gering. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass er, wohl aufgrund seines großen Engagements für seine Studenten, niemals seine Dissertation abgeschlossen hat. Diese Haltung, immer für den Nächsten dazusein, zeichnet nicht nur dieses Genie aus, sondern viele Menschen dieser fernen, aber immer wieder überraschenden Inselgruppe.


* Deutscher Abstammung, in Portugal geboren. Promoviert in Deutschland. Emeritierter Professor für Organische Chemie der Technischen Hochschule Lissabon




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Portugal-Post Nr. 30 / 2005


Prof. Dr. Jerosch Herold